
Veröffentlicht im Katzenmagazin OUR CATS (Ausgabe 9/14)
Im Volksmund zählen Katzen zu den reinlichsten Vierbeinern in der Tierwelt – das natürlich nicht ohne Grund. Bekanntermaßen nehmen Katzen ihre Fellpflege tatsächlich sehr ernst.
Eine Hauskatze putzt sich im Durchschnitt etwa dreieinhalb Stunden am Tag. Selbstverständlich mit Pausen dazwischen. Doch was ist zu tun, wenn die Katzenwäsche gar nicht mehr enden will und der Stubentiger einen regelrechten Putzfimmel entwickelt?
Gründe, warum sich Katzen penibel putzen
Fellpflege (engl. grooming), welches zum Komfortverhalten der Feliden zählt, bedeutet für eine Katze viel mehr als sich einfach nur sauber zu halten. Neben der Entfernung von Schmutz, dient das wiederholte Lecken der Haare dazu, dass das Fett der Talgdrüsen im Haarkleid der Katze verteilt wird. Damit bleibt das Fell leicht wasserabstoßend und seine isolierende Wirkung geht nicht verloren. Ein frisch gereinigtes Fell schützt die Katze nämlich vor Witterungseinflüssen, wie Kälte und Feuchtigkeit. Ebenso hilft es bei starker Hitzeeinstrahlung, denn Katzen wischen sich mit den Pfoten, welche sie mit Speichel benetzten, über den Körper, um sich dadurch einen Hitze-Ausgleich zu verschaffen.Lecken, Rupfen und Zupfen am Fell hat überdies einen sozialen Charakter und zählt zu dem Repertoire der Beschwichtigungssignale. Schon die Mutterkatze putzt ihre Jungen unter anderem deshalb, weil sie den Familiengeruch erhalten möchte. Erwachsene, einander vertraute Katzen zeigen dieses Verhalten auch, womit ein sozialer Frieden in der Gruppe erhalten wird. Eine ausgiebige Putzaktion der Katze scheint auch Artgenossen zu beruhigen, denn jemand der mit Körperpflege beschäftigt ist, führt sicherlich nichts Böses im Schilde.
Ein weiterer sehr wichtiger Grund für eine Katze, sich zu putzen, ist der Abbau von körperlichen Anspannungen und die Freisetzung körpereigener Botenstoffe, wie Endorphine. Vor allem in Konfliktsituationen benutzen Katzen die Körperpflege als Übersprungshandlung. Befindet sich, zum Beispiel, eine ängstliche Katze in einer Situation, in der sie nicht fliehen kann, hilft ihr das unwillkürliche Putzen, diesen intensiven Gefühlszustand zu meistern. Meist handelt es sich dabei um ein Lecken der Flanken, also der seitlichen Körperteile, welches nicht mehr auftritt, sobald sich die angstauslösende Ursache nicht mehr direkt vor den Augen der Katze befindet.
Allerdings kann es bei einigen Katzen, die unter Dauerstress leiden oder oft in Angst leben passieren, dass sie mit dem „Grooming“ nicht mehr aufhören. Diese Katzen suchen sich ein Ventil für die Überbelastung und entwickeln eine Verhaltensstörung, weil sie versuchen sich ständig selbst zu beruhigen. In diesem Fall spricht man dann von „Overgrooming“.
Overgrooming – eine Zwangsstörung bei Katzen
Im Fachjargon nennt man „Overgrooming“ auch psychogene selbstinduzierte (Leck-)Alopezie. Es handelt sich dabei um eine stereotype, zwangshafte Verhaltensweise, die sich durch übertriebenes und gesteigertes Putzverhalten der Katze auszeichnet und schließlich zum Haarverlust der Katze führt. Es gibt Katzen, die sogar soweit gehen, dass es sich nicht nur um exzessives Lecken der Körperstellen handelt, sondern um richtiges Ausreißen und Auszupfen der Haare mit den Zähnen. Häufig passiert es, dass damit tiefe Wunden in der Haut und merkliche Hautirritationen entstehen, die zu Infektionen führen können. Mit anderen Worten ausgedrückt: Bei Overgrooming handelt es sich buchstäblich um eine zwanghafte Selbstverstümmelung bei Katzen.
Nicht unerheblich ist, dass das heftige Putzen für die Katze eine selbstbelohnende Erfahrung darstellt, weil Endorphine (Glückshormone) freigesetzt werden. Das Suchtverhalten wird dadurch noch mehr verstärkt und der Schmerz der Selbstverletzung wird durch die Endorphine verschleiert. Es beginnt ein fataler Kreislauf.
Nicht jedes übertriebene Putzverhalten ist psychischer Natur
Wenn sich die Katze fortwährend putzt und sich über ein als normal einzustufendes Maß hinaus leckt, sodass kahle Flecken im Fell oder sogar Verletzungen entstehen, ist als Katzenhalter Handlungsbedarf nötig und ein Tierarzt aufzusuchen.
Bevor die Enddiagnose „psychogene Alopezie“ gestellt wird, sollten zunächst andere Erkrankungen der Katze, die zu ähnlich klinischen Symptomen führen können, ausgeschlossen werden. Eine medizinische Abklärung ist gerade hier von äußerster Notwendigkeit, denn zahlreiche Katzen mit exzessivem Putzzwang werden oft fälschlicherweise mit psychogener Alopezie diagnostiziert.
Einige Erkrankungen, bei denen sich Katzen auch exzessiv Lecken oder die zu Haarverlust führen können:
Bitten Sie Ihren Tierarzt diese Erkrankungen abzuklären oder gegebenenfalls auszuschließen und schildern Sie ihm detailliert das gezeigte Verhalten Ihrer Katze. |
Hingegen gibt es Indizien die sehr wohl für eine zwanghafte Verhaltensstörung sprechen können: abgebrochene Haarschäfte, haarlose Stellen an den Flanken (seitliche Körperteile), über dem Becken, an der Schwanzwurzel, am Bauch, an der Innen- und Rückseite der Oberschenkel und/oder an der Hinterseite der Vorderpfoten. Ein Anzeichen für Katzenhalter sollte auch das wiederholte Auffinden loser Haarbüschel in der häuslichen Umgebung sein, denn in vielen Fällen geschieht das exzessive Lecken der Katze nachts oder im Verborgenen.
Diagnose psychogene Alopezie – und jetzt?
Wenn nach dem Tierarztbesuch feststeht, dass die Katze an einer stereotypen Verhaltensstörung leidet, gilt es, stressauslösende Faktoren im Haushalt zu identifizieren und schließlich auch zu reduzieren.
Häufig ist zum Zeitpunkt der Diagnose kein klarer Auslöser mehr zu identifizieren und detektivische Arbeit kann nötig werden, um den Grund der Belastung für die Katze herauszufinden Ich empfehle meinen Kunden gerne ein Tagebuch über den Tagesablauf, die Aktivitäten der Katze, Uhrzeiten zu denen Overgrooming stattfindet usw. zu führen, um so allfällige Hinweise, die für die Ursache sprechen könnten, herauszufinden.
Es gibt viele Lebenssituationen, die chronischen Stress bei der Katze aufkommen lassen können. Manche Katzen reagieren einfach feinfühliger und drücken Unbehagen anders aus, als andere ihres gleichen.
So kann es sein, dass die eine Katze gestresst reagiert, weil sie sich als Einzelkatze einsam fühlt und die andere Katze fühlt sich wiederum in einer großen Katzengruppe überhaupt nicht wohl. In einigen Fällen führt es auch zu auffälligem Verhalten, wenn die Katze die „Ressource“ menschliche Zuwendung in Gefahr sieht. Halterwechsel, Veränderungen im Lebensumfeld oder im Haushalt, Eifersucht, zu wenig Rückzugsmöglichkeiten,, Hinzukommen eines Kindes im Leben der Halter, ein neues Haustier, zu wenig Entspannungsmöglichkeiten und vieles mehr, kann die Katze so verunsichern und folglich auch so verängstigen, dass sie eine Zwangsstörung entwickelt.
Oft spielt auch Langeweile keine unbedeutende Rolle. Sorgen Sie für ein umfassendes Beschäftigungsprogramm der Katze, damit sie gar nicht dazukommen kann sich energisch viel zu putzen! Planen Sie mindestens zwei Spieleinheiten pro Tag für jeweils 15 Minuten ein. Sorgen Sie für geistige Auslastung der Katze mit Intelligenzspielzeug oder Clickertraining!
Optimieren Sie die Haltungsbedingungen, legen Sie Wert auf einen strukturierten und vorhersehbaren Tagesablauf für die Katze und scheuen Sie sich nicht Rat bei einem Katzenpsychologen oder Verhaltensmediziner für Katzen zu suchen. Diese werden Ihnen wertvolle Hilfe leisten können, denn ein Zwangsverhalten dieser Art bei Katzen verschwindet nicht von selbst und auch nicht über Nacht.
WICHTIGE HINWEISE AN BETROFFENE KATZENHALTER! |